Der Preis der Kasseler Bürgerschaft

Das Glas der Vernunft

26.8.2021

„Die Welt wachgerüttelt“

Reporter ohne Grenzen mit „Glas der Vernunft“ geehrt.

In diesem Jahr wird zum 30. Mal der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ verliehen. Die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung geht an die deutsche Sektion des globalen Netzwerkes Reporter ohne Grenzen. „Wir wollen damit den Mut dieser Reporterinnen und Reporter würdigen, die einen investigativen Journalismus und eine unabhängige Berichterstattung verteidigen“, sagt Bernd Leifeld, Vorsitzender des Vorstandes der Gesellschaft der Freunde und Förderer dieses Preises. Vorstand und Kuratorium zeichnen die Reporter ohne Grenzen auch dafür aus, dass die Organisation mit ihrem großartigen Engagement die Welt schon oft „wachgerüttelt hat“.

Die deutsche Sektion der 1985 gegründeten internationalen Organisation Reporters sans frontières ist seit 1994 von Berlin aus aktiv. Sie informiert umgehend und interveniert wirksam, wenn Presse- und Informationsfreiheit in Gefahr sind. Mit ihrem Nothilfereferat gibt sie nicht nur Opfern ein Gesicht, benennt Täter und veröffentlicht Zensur oder den Einsatz von Überwachungstechnik. Sie übernimmt auch Anwaltskosten und ersetzt zerstörte oder beschlagnahmte Ausrüstung und setzt sich dafür ein, dass die Journalistinnen und Journalisten ihre Arbeit fortsetzen können.

Gerade in einer Krise wie der Corona-Pandemie ist Pressefreiheit unverzichtbar. Angesichts der dramatischen Entwicklungen weltweit müssen die Menschen in der Lage sein, sich aus vielfältigen Quellen zu informieren und das Handeln der Behörden auch kritisch zu hinterfragen. Zahlreiche Journalist:innen beklagen, dass viele Regierungen auf die Corona-Krise mit autoritären Regelungen, mit Zensur, Überwachung, Repression und Desinformation reagieren.

Vorstand und Kuratorium des Kasseler Bürgerpreises unterstreichen, dass die Anfeindung von Journalistinnen und Journalisten und die Veröffentlichung verzerrter Berichte nicht nur ein Problem autoritärer Staaten ist. „Auch bei uns in Deutschland hat es in jüngster Zeit etliche – sogar tätliche – Angriffe auf Medienvertreter gegeben“, sagt Bernd Leifeld. Eine freie, unabhängige Presse sei aber eine Voraussetzung, dass Bürger und Bürgerinnen sich eine Meinung bilden, besonnenen urteilen und Verantwortung übernehmen könnten.

Der Vorstandssprecher von „Reporter ohne Grenzen“, Dr. Michael Rediske, beschreibt die aktuelle Situation so: „Dieser Tage ist die Arbeit von Reporter ohne Grenzen besonders herausfordernd. Alle Kraft stecken wir aktuell in unser Bemühen, Journalistinnen und Journalisten in Afghanistan aus ihrer lebensbedrohlichen Lage zu retten. In den vergangenen eineinhalb Wochen haben uns viele hundert Hilferufe von Medienschaffenden erreicht, die keinen anderen Ausweg mehr sehen, als das Land zu verlassen.“ Die Hauptarbeit von Reporter ohne Grenzen aber bestehe nicht aus solchen Ausnahmesituationen. „Bei unserem Einsatz für den Schutz von Medienschaffenden in und außerhalb von Krisengebieten, gegen Zensur, gegen Überwachungstechnik und gegen restriktive Mediengesetze braucht es Beharrlichkeit und Durchhaltevermögen“, so Rediske weiter. Auszeichnungen wie der Kasseler Bürgerpreis „Das Glas der Vernunft“ seien dabei ein besonderer Ansporn. „Wir danken Vorstand und Kuratorium der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Preises herzlich für diese Ehrung.“

„Das Glas der Vernunft“ wird am Sonntag, 3. Oktober 2021, um 11.30 Uhr im Opernhaus des Staatstheaters Kassel an Vertreter der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen übergeben. Über die Zugangsmodalitäten wird zeitnah informiert.

Das Glas der Vernunft

Der Bürgerpreis „Glas der Vernunft“ wurde 1990 von nordhessischen Bürgerinnen und Bürgern gestiftet. Anlass war die Öffnung der DDR-Grenze im November 1989. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde seither 29 mal an Politiker, Künstler, Wissenschaftler, Naturschützer oder auch Menschenrechts- und Hilfsorganisationen vergeben, die sich mit ihrem Wirken den Idealen der Aufklärung – Vernunft, Toleranz gegenüber Andersdenkenden und Überwindung ideologischer Schranken –– in besonderer Weise verdient gemacht haben. Aufgrund der Corona-Pandemie wurde die 30. Preisverleihung nicht im Oktober 2020, sondern erst in diesem Jahr anberaumt.

Symbolisiert wird der Preis durch eine von dem Kasseler Kunstprofessor und documenta-Künstler Karl Oskar Blase gestaltete Skulptur: Ein Glas-Prisma im Oktogon. Das Glas steht für Transparenz und Zerbrechlichkeit, das Prisma für Aufklärung durch wissenschaftliche Analyse, das Oktogon für Vollkommenheit.

Die 1991 gegründete Gesellschaft der Freunde und Förderer des Bürgerpreises hat inzwischen über 400 Mitglieder, und ihr Kreis ist auch geografisch gewachsen: Der Verein hat Mitglieder nicht nur aus Kassel und der Region, sondern aus nahezu allen Bundesländern sowie aus dem Ausland.  Durch ihre Beiträge und durch Spenden wird der Preis sowie die Veranstaltung zur Preisverleihung finanziert. Der Vorstand des Vereins sowie die Mitglieder des Kuratoriums arbeiten ehrenamtlich.

Erster Preisträger war 1991 der damalige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der damit für seine Verdienste um die Öffnung der DDR-Grenze geehrt wurde. 2016 wurde Edward Snowden ausgezeichnet: Der US-amerikanischer Whistleblower und ehemalige CIA-Mitarbeiter enthüllte die weltweiten Überwachungs- und Spionagepraktiken von Geheimdiensten, vor allem der Vereinigten Staaten. Er konnte an dem Festakt in Kassel nicht teilnehmen, weil er international mit Haftbefehl gesucht wird. Sein „Glas der Vernunft“ steht noch im Kasseler Stadtmuseum. Auf der Homepage sind alle bisherigen Preisträger aufgeführt.


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